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Interview mit Anja Bederke - Bilanz 12 Jahre Quartiersmanagement

Liebe Anja, du bist nun 12 Jahre als Teamleiterin im Quartier Richardplatz Süd tätig, zum Januar 2018 stellst du dich einer neuen beruflichen Herausforderung. Wie fing die Arbeit an und wo siehst du heute das Quartier Richardplatz Süd im Vergleich zur Anfangszeit 2005?

Am Anfang ging es darum, die ersten wichtigen Handlungsbedarfe herauszustellen. Wir wurden mit einem ungeheuren Defizit an Angeboten für Kinder und Jugendliche konfrontiert, das ist heute schon besser geworden, auch wenn hier noch Luft nach oben ist. Wir haben uns gleich dafür eingesetzt, zusammen mit dem Jugendamt das Jugend- und Gemeinschaftshaus „Scheune“ aufzubauen. Die Schul- und Kitaleiter*innen haben sich durch unsere Vernetzungsrunden kennengelernt und einen guten Modus der Zusammenarbeit entwickelt. Wir haben dann in den letzten 12 Jahren über 100 insbesondere soziokulturelle Pilotprojekte in den Handlungsfeldern Bildung, Jugend, öffentlicher Raum, Nachbarschaft und Integration für das Quartier Richardplatz Süd entwickelt und begleitet. Generell konnten wir dabei mit den Jahren verschiedene Netzwerke aufbauen und pflegen: Ob soziale Engagierte, Gewerbetreibende oder gemeinnützige Einrichtungen, wir haben themenbezogen eine Menge Menschen und sehr viel Engagement im Stadtteil zusammengebracht. Der Prozess muss natürlich auch intensiv begleitet werden: Ich habe insgesamt 136 Steuerungsrunden und mehr als 100 Quartiersratssitzungen moderiert. Das war eine ungeheuer spannende Arbeit, denn es ging ja oft darum, unterschiedliche Interessen abzuwägen und ein möglichst für alle gut tragbares Ergebnis zu entwickeln. Vor allem im Quartiersrat ging es öfter mal „heiß her“, wenn konträre Positionen aufeinander geprallt sind. Auch das ist ein wichtiges Feld unser Arbeit: Die Integration unterschiedlicher Richtungen zu einem gemeinsamen Entwicklungsweg, die Aushandlung verschiedener Interessen im Prozess und das Bearbeiten von Konflikten.

Wo gelang es dir, Akzente zu setzen und möglicherweise auch die „Ernte“ für die engagierte Arbeit einzufahren?

Ich habe wirklich mit tollen Menschen zusammenarbeiten dürfen, denn es geht ja immer um einen langen Atem im gemeinsamen Prozess. Die Pilotprojekte „Gewaltprävention im Stadtteil“, „Bildungsverbund am Droryplatz“, „solidarische Initiative SoLiNar“ und „Vorfahrt für Kinder“ beispielsweise haben im Quartier die Nachbarschaft stabilisiert, Integrationsmöglichkeiten eröffnet und Netzwerke gefördert. Unsere Arbeit folgt dem Leitbild, das solidarische und gesellschaftliche Miteinander zu fördern. Hierfür konnten wir im Stadtteil eine gute Kommunikationskultur auf- und ausbauen. Demokratische und tolerante Verständigung auf allen Gesellschaftsebenen und zwischen den Nationen folgt dem Ziel, einen respektvollen und friedvollen Kiez zu entwickeln. Zusammenhalt, Freundschaft und Hilfsbereitschaft sind ja wichtig für das eigene Glück.

Neben einem vielfältigen Angebot vor Ort zum Kennenlernen, Austauschen und Kommunizieren arbeiten wir auch viel an der Lösung von Konflikten. Wir begeben uns mit den Bewohner*innen, Akteuren und Auftraggeber*innen aus Politik und Verwaltung auf den Weg zu einer toleranteren, friedvolleren und am Gemeinwohl orientierten Gesellschaft. Die Themen gesundheitliche Chancengleichheit, Gesundheitsförderung, Zugänge für Familien zu Beratungs- und Versorgungsangeboten sowie Unterstützungsangebote für Familien gewinnen im Zuge des Bildungsverbundes Droryplatz und mit dem Ausbau des dortigen Familienzentrums an Bedeutung. Die Stärkung des sozialraumorientierten Ansatzes sowie die ressortübergreifende Arbeit der Fachverwaltungen sind hierbei wesentlich für das Gelingen.

In den letzten Jahren ist das Interesse und Engagement von Kiezbewohner*innen für Verkehrsgerechtigkeit und Mobilitätspolitik stark gewachsen und hat sich zunehmend in Initiativen organisiert. Auf Quartiersebene geht es dabei darum, nachhaltige Mobilitätsformen zu fördern und dafür Verkehrsflächen zugunsten von Fahrrädern und Fußgänger*innen umzugestalten. Das dient auch dem Klimaschutz in der Stadt. Auch das Interesse daran, zu teilen und Dinge wieder zu verwerten, um Ressourcen zu schonen, ist gewachsen.

Wo sind deiner Meinung nach die Grenzen von Quartiersmanagement?


Integration birgt die Vorstellung, dass die Stadtgesellschaft ein Gefüge ist, dem alle seine Mitglieder gleichberechtigt angehören. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Chancen es für marginalisierte Gruppen gibt, wirklich gleichberechtigt an der Gesellschaft teilzuhaben, wenn sich diese zunehmend polarisiert und Ausgrenzung wächst. Im Quartier Richardplatz Süd beobachten wir seit Jahren, dass ärmere Gruppen der Bevölkerung durch ökonomisch, sozial und kulturell Bessergestellte verdrängt werden. Diese sind durchaus daran beteiligt, das Nachbarschaftsgefüge zu verbessern. Es bedarf allerdings übergreifender sozial verantwortlicher und solidarischer Konzepte dafür, Ressourcen umzuverteilen und so die Chancengerechtigkeit im Sinne der „Sozialen Stadt“ zu erhöhen. Den gesellschaftlichen Auftrag einer Integration ernst zu nehmen, erfordert Verantwortungsbereitschaft und Mut auf allen Seiten.

Besonders die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen des Soziale Stadt-Gebietes sind von den Auswirkungen der Immobilienspekulation, von wohnungswirtschaftlichen Aufwertungsprozessen und von der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt mit stark steigenden Mieten betroffen. Viele sind gezwungen, auf dem Viertel wegzuziehen. Solche Tendenzen sozialer Segregation unterlaufen aber den sozialen Zusammenhalt. Dieser ist so nicht nur in der gesamten Stadt sondern auch im Quartier Richardplatz Süd gefährdet.

Was wünschst du den Menschen im Quartier?

All unseren Kooperationspartner*innen und den Menschen im Richardkiez wünsche ich, dass ein solidarisches Miteinander sowie gemeinwesenorientierte und kooperative Ansätze möglich sind, um das Zusammenleben im Kiez zu verbessern und dass in diesem Sinne weiterhin kreative Projekte, Ideen und Lösungen entwickelt werden können. Ich wünsche viel Raum für kooperative Projekte  und gemeinnützige Orte und dazu gehören auch tragfähige und verlässliche Nachbarschaftseinrichtungen.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die anstehenden Aufgaben.